Healthismus

Eine Definition.

Healthismus (von engl. health „Gesundheit“ und lat. -ismus als Suffix für gesellschaftliche Strömungen) bezeichnet eine Ideologie, die Gesundheit als höchste moralische und gesellschaftliche Verpflichtung betrachtet. Der Begriff wurde erstmals von Robert Crawford (1980) geprägt und beschreibt die Überzeugung, dass der eigene Körper beliebig formbar, dass Gesundheit eine Frage individuellen Verhaltens ist. Chronische Erkrankungen, Behinderungen oder Körperformen, die von gesellschaftlichen Normvorstellungen abweichen, werden einer falschen Lebensweise zugeschrieben.

Insofern bezeichnet Healthismus eine Form struktureller Diskriminierung, die Menschen mit chronischen Erkrankungen, psychischen Erkrankungen oder Behinderungen, basierend auf negativen Vorurteilen zugunsten gesunder Menschen, benachteiligt und abwertet. Dies lässt sich auf kultureller, institutioneller und individueller Ebene nachzeichnen.

Wir nutzen den Begriff des Healthismus aus zwei Gründen: Um einerseits die spezifische Diskriminierung aufgrund von tatsächlicher oder zugeschriebener Erkrankung präzise zu beschreiben, und andererseits die Intersektionalität dieser Diskriminierungsform zu betonen.

Die Macht des medizinischen Modells liegt auch darin, dass Menschen nach der Morphologie ihrer Erkrankungen eingeordnet werden. Dies macht medizinisch Sinn. Politisch macht es einsam. Diskriminierung bewegt sich an der Oberfläche. Es sind vergleichbare Phänomene, die Menschen begegnen, die als krank gelesen werden – ob sie Hautrötungen haben, dick sind oder psychische Erkrankungen haben. Das Gute ist: Diese Erlebnisse öffnen ein Fenster für Solidarität. Wenn wir beschreiben können, was wir erleben, können wir uns gemeinsam wehren.

Das Konzept des Healthismus steht in engem Zusammenhang mit der Diskriminierungsform des Ableismus, der die Diskriminierung behinderter Menschen auf individueller, institutioneller und kultureller Ebene beschreibt. Der überwiegende Teil der Menschen mit Behinderung hat diese aufgrund einer chronischen Erkrankung erworben. Zugleich gibt es viele Menschen, die schwer krank sind, aber keine Schwerbehinderung im rechtlichen Sinne haben. Insbesondere Menschen mit dynamischen oder unsichtbaren Behinderungen, denen die Realität ihrer Körpererfahrung abgesprochen wird, machen häufig ganz ähnliche Erfahrungen wie chronisch kranke Menschen.

„Wenn es keinen Namen für ein Problem gibt, können wir es nicht sehen – und wenn wir ein Problem nicht sehen, können wir es nicht lösen“, hat Kimberlé Crenshaw mit Blick auf Intersektionalität gesagt. Wenn wir Healthismus als konkrete Diskriminierungsform begreifen und beschreiben, dann können wir diese gesellschaftliche Herausforderung gemeinsam angehen.

Wie stark das medizinische Modell die gesellschaftliche Debatte prägt, zeigte jüngst auch Friedrich Schorb in seiner Monographie „Healthismus“ (2024). Der Band trägt den Untertitel „Gesundheit als Obsession“ – was im medizinischen und psychologischen Sprachgebrauch eine zwanghafte Handlung meint. Wir können’s nicht lassen, oder?

Zurück
Zurück

Face Value

Weiter
Weiter

Repräsentation