Masken

The Face of Evil.

Max Balzer (Text)
Noemi Hasler
(Illustration)

Ich muss etwa zweieinhalb Jahre alt gewesen sein, als meine unvorsichtige Mutter mich einem lebenslangen Masken-Trauma aussetzte. Dass ich nicht viel älter gewesen sein kann, schließe ich daraus, dass ich auf dem Arm meiner unvorsichtigen Mutter saß. Sie öffnete die Haustür, und neben den Briefkästen stand eine Reihe düsterer, maskierter Gestalten. Sie sagten etwas auf, ein schleppender Sing-Sang. Sie raschelten mit großen Plastiktüten, und ich schrie, schrie, schrie.

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Die britische Organisation Changing Faces, die sich für Menschen mit Hautauffälligkeiten wie Brandverletzungen oder sichtbaren Hauterkrankungen einsetzt, ruft jedes Jahr zu Halloween dazu auf, genau zu überlegen, welches Kostüm wir uns überstreifen. „Klebt euch nicht einfach ein paar Narben ins Gesicht und nennt es Grusel. Ihr könnt sie am Ende des Tages abnehmen – viele Menschen können das nicht.“

Viel zu lange hätten Filmemacher sichtbare Unterschiede mit „Bösartigkeit“ gleichgesetzt – besonders rund um Halloween und in Horrorfilmen, aber auch im Batman-Franchise oder in James-Bond-Filmen, wo Narben zu einem Erkennungszeichen der Bösewichte geworden sind. Changing Faces weist seit Jahren darauf hin, dass solche Darstellungsweisen und Kostüme viele Menschen mit visible differences verletzen.

Doch geändert hat sich wenig – gerade in der Filmindustrie. Kostüme von Figuren wie Joker oder Freddy Krüger sind weiterhin überall erhältlich, und auch James Bond tritt immer wieder gegen neue Gegenspieler an, deren Gesichter von Narben gezeichnet sind.


Klebt euch nicht einfach ein paar Narben ins Gesicht und nennt es Grusel. Ihr könnt sie am Ende des Tages abnehmen – viele Menschen können das nicht.
— Changing Faces

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Diese Bilder und Erzählmuster haben reale Auswirkungen auf Menschen, die mit sichtbaren Hautunterschieden leben. Einer von ihnen ist Marc Convey. Der Motivational Speaker und Aktivist wurde im Alter von 14 Jahren bei einem Brand schwer verletzt. Halloween sei für ihn immer wieder eine schwierige Zeit, berichtet Convey auf dem Instagram-Kanal von Changing Faces. Er habe sich als Jugendlicher geweigert, sich von dem definieren zu lassen, womit er nach dem Unfall leben musste. Freund*innen und Geschwister hätten Trick or Treat spielen wollen – und er wollte unbedingt mit. „Ein Beweis, dass ich noch dazu gehörte.“

Zu diesem Zeitpunkt trug Convey seit einem Jahr eine transparente Gesichts-Schiene aus Plexiglas, um die Narben abheilen zu lassen. Er ging mit seinen Freund*innen durch die Nachbarschaft, Maske über Maske, und sammelte Süßigkeiten ein.

Ein Erlebnis aus dieser Halloween-Nacht 1993 ist ihm bis heute im Gedächtnis geblieben. „Bevor wir klingelten, nahm ich die äußere Maske ab, weil sie mir in den Hals schnitt. Ich stand halb im Schatten. ‚Trick or Treat‘, murmelte ich. Die Frau, die öffnete, sah mich an und sagte: ‚Wow, das ist unglaublich! Wie hast du das gemacht?‘ Und dann wurde es unangenehm. Wir stammelten irgendwas zur Erklärung. Sie begriff, entschuldigte sich – und alle wollten nur, dass der Moment endet.“

Seitdem, berichtet Convey, habe er nie wieder ein Halloween-Kostüm getragen und Kostümpartys gemieden. „Ich trug bereits ein Kostüm, das ich mein Leben lang behalten würde.“

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In der Studie „The Face of Evil” hat ein Team der Universität Texas um die Dermatologin Julie Amthor Croley untersucht, wie klassische Filmbösewichte durch dermatologische Auffälligkeiten gezeichnet werden. Dazu verglichen die Forschenden zwei Top-Ten-Listen des American Film Institutes – sechs der beliebtesten zehn Bösewichte zeigten Hautauffälligkeiten. Darunter Darth Vader, Hannibal Lecter oder Regan MacNeil aus Der Exorzist. Tiefe Narben und Warzen, aber auch Brandverletzungen, Albinismus und Hyperpigmentierung würden herangezogen, um die Dichotomie zwischen Gut und Böse darzustellen.

Dies lässt sich bis in die Stummfilmzeit zurückverfolgen. In einer Zeit, in der unmoralische Charaktere nicht durch das gesprochene Wort vermittelt werden konnten, verließen sich die Filmemacher stark auf dermatologische Befunde, um Boshaftigkeit visuell zu vermitteln. „Das Gesicht und die Kopfhaut, die im Vergleich zum Rest des Körpers unverhältnismäßig viel Zeit vor der Kamera einnehmen, boten sich für dermatologische Erkrankungen geradezu an.“ Es sei nicht ungewöhnlich gewesen, dass ein Schurke mehrere dermatologische Erkrankungen aufwies, um einen dramatischen Effekt zu erzielen.

Die Autor*innen der Studie betonen, dass die Auswirkungen dieser Darstellungsweisen weit über den Kinosaal hinausgehen. Die unfaire Darstellung von “dermatologischen Minderheiten“ könne Vorurteile in unserer Kultur verstärken und das Missverständnis bestimmter Krankheitsbilder in der breiten Öffentlichkeit fördern.

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Dieses Menschenbild findet in den Slasher-Filmen der 1970er- und 1980er-Jahre seine Zuspitzung. Leatherface aus The Texas Chainsaw Massacre? Ein Mensch mit Lernbehinderung. Freddy Krueger aus A Nightmare on Elm Street? Hat schwere Brandverletzungen erlitten. Michael Myers aus Halloween? In der Psychiatrie aufgewachsen. Das Othering lauert unter der Oberfläche des Genrekinos, eilig versteckt wie die Monster unterm Bett. Es kriechen paradoxe Antihelden hervor, von Stigmata überzeichnet. Sichtbar verwundet, verstört, traumatisiert - und gleichzeitig unverwundbar, gefühllos, kalt. Sie sind gebrandmarkt von der Gesellschaft, aber getrieben von übernatürlichem Hass. Schließlich müssen sie sich mit schweren Schritten durch die unendliche Wiederholung ihrer Sequels, Prequels und Reboots schleppen.

Michael Myers ist so eine Figur. „Was hinter den Augen dieses Jungen lebte, war das reine und einfache Böse.“ So beschreibt ihn sein Psychiater, Dr. Loomis, der ihn am Ende von "Halloween – Die Nacht des Grauens" (1978) erschießt. Myers trägt in dem Low-Budget-Klassiker eine weiße William-Shatner-Maske. Sein Gesicht, das Loomis als „blass und emotionslos“ bezeichnet, ist nur für einen Augenblick zu sehen. In einem Handgemenge mit Laurie Strode (Jamie Lee Curtis), die ihm für diesen Moment die Maske vom Gesicht reißt. Myers sieht überrascht aus, jungenhaft – sein Auge von einem Kleiderhaken durchbohrt.


Ich trug bereits ein Kostüm, das ich mein Leben lang behalten würde.
— Marc Conway

Ich habe mich als Jugendlicher, ähnlich wie Marc Conway, geweigert, mich definieren lassen von dem, was andere in mir sahen. Mir wurde auf den Dorfstraßen „Zombie“ nachgerufen. Ich wurde mit Two Face, dem Batman Gegenspieler, verglichen (auch, wenn ich beim besten Willen keine Schokoladenseite hatte). Mir wurde auf dem Schulhof eine unendliche Abfolge von Lepra-Witzen erzählt.

Was ist ein Lepra-Kranker im Hallenbad?
Eine Brausetablette.

Anders als Marc Conway habe ich das Glück, dass meine Maske, das Ekzem, nicht immer sichtbar ist (auch, wenn die Atopie darunter bleibt). Was ich außerdem nicht ablegen kann, ist diese Erfahrung, als anderer durch die Stadt zu laufen. Dieses stechende Gefühl, angestarrt zu werden.

Es war ein Halloween-Wochenende in Marburg. Dämmerung, Nieselregen. Jugendliche mit Masken waren in kleinen Pulks in der Stadt unterwegs. Ich war Anfang zwanzig, Anfang des Studiums. Ich war allein. Die Regenjacke ins Gesicht gezogen, stieg ich in einen der Stadtbusse. Eine Gruppe von Schülerinnen lehnte im Knick. Sie starrten mich an – erst erschrocken, dann belustigt, unsicher – Nadelstiche im Neonlicht.

Ich zog die Kapuze zurück, Ellbogen stießen in weiche Seiten.

„Ist das echt?“

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In "Wahnsinn und Gesellschaft" beschreibt Michel Foucault, wie die Lepra am Ende des Mittelalters aus Europa verschwindet. Vom hohen Mittelalter bis zum Ende der Kreuzzüge waren am Rande der Städte die Leprosorien als Kolonien "der Verdammnis" angewachsen. Abgeschiedene Orte, die nicht dafür bestimmt waren, Menschen zu heilen, sondern „die Aussätzigen“ in einer geheiligten Entfernung zu halten.

Was Foucault nur streift: Der mittelalterliche Aussatz war eine Sammelbezeichnung. Die Ausgrenzung traf keineswegs nur Menschen, die an Lepra erkrankt waren – einer schwach-ansteckenden Infektionskrankheit, die sich vom Menschen auf den Menschen überträgt – sondern auch viele, die mit nicht-ansteckenden Hauterkrankungen oder psychischen Beeinträchtigungen lebten. So konnte Aussatz ganz unterschiedliche Krankheitsbilder bezeichnen, die Ausgrenzung (im wörtlichen Sinne) zur Folge hatten. Auch Ergotismus, die Mutterkornvergiftung, oder Psoriasis wurden als Aussatz bezeichnet.

Über die Jahrhunderte entstand eine fantasievolle Fülle von Ritualen, die das Ausgesetzt-Sein der Erkrankten dramatisierten. Für Aussätzige wurden zu Lebzeiten Totenmessen gehalten. In karolingischer Zeit war es ihnen vorgeschrieben, ein Horn zu blasen, sobald sie sich Menschen näherten. Später verbreitete sich die hölzerne Klapper (Ratsche), mit der Aussätzige akustisch auf sich aufmerksam machen mussten. Zusätzlich war eine spezielle Kleidung Pflicht: Meist ein langer grauer oder schwarzer Umhang sowie ein auffälliger Hut oder ein Tuch in Scharlachrot. So wurden Horror-Gestalten inszeniert, bevor das Genre überhaupt erfunden war.

Die Gleichsetzung von Aussatz und Lepra setzte sich erst im 13. Jahrhundert durch. Dann, mit dem Ende der Kreuzzüge, verschwindet die Lepra nach und nach aus Europa – aber die Strukturen der Ausgrenzung bleiben erhalten. Oft lassen sich an denselben Orten am Rande der Städte zwei oder drei Jahrhunderte später die gleichen Formen des Ausschlusses wiederfinden, doch diesmal in Form der aufkommenden Zuchthäuser und frühen psychiatrischen Einrichtungen. „Arme, Landstreicher, Sträflinge und 'verwirrte Köpfe'" spielten nun die Rolle, die einst die Aussätzigen innehatten. Sie wurden ausgeschlossen, beschämt und eingesperrt – nicht selten in Einrichtungen, die auf den Grundmauern der alten Leprosorien errichtet worden waren.

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Was einem kalte Schauer über den Rücken treiben kann, sind die seltsamen Überblendungen, die Menschen erfahren, die als Andere markiert wurden und werden – ob aus rassistischen, ableistischen oder sexistischen Motiven. Eines dieser Leitmotive sind Vorstellungen von Gefühllosigkeit, von animalischer Kraft, einer erhöhten Schmerztoleranz (ein Vorurteil, das Schwarzen Frauen bis heute in medizinischen Settings begegnet).

In den Jahren der Französischen Revolution beschrieb der Psychiater und Arzt Philippe Pinel bewundernd, „mit welcher Standhaftigkeit und Leichtigkeit bestimmte Wahnsinnige beiderlei Geschlechts die schärfste und sehr lang anhaltende Kälte ertragen.“ Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts habe als bekannt gegolten, schließt Foucault, dass „die Irren“ unendlich elende Lebensbedingungen ertragen könnten. „Man braucht sie nicht zu schützen, sie nicht zuzudecken und nicht zu wärmen.“

Diese Imaginationen oszillieren in Figuren wie Michael Myers. In der neuesten Halloween-Trilogie (ab 2018) unter der Regie von David Gordon Green wurde ein hoher Aufwand betrieben, um den alternden Myers – den unverwüstlichen, immer wieder der Psychiatrie entfliehenden Straftäter – auch körperlich als Anderen zu zeichnen. So wurde in der Maske nachgebildet, wie das Kleiderhaken-Auge nach 40 Jahren aussehen müsste. Myers erfährt während der drei finalen Teile schwerste Verbrennungen im Gesicht und am gesamten Körper. Dieser Aufwand wird betrieben für eine Maske, die über weite Teile des Films unter einer Maske versteckt ist.

Am Ende des vorerst letzten Teils, Halloween Ends, wirft Jamie Lee Curtis – ein inzwischen großmütterliches Final Girl – Michael Myers leblose Überreste in einen industriellen Schredder. Overkill. Es steht zu befürchten, dass Halloween trotzdem wiederkehrt.

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G.K. Chesterton schrieb einmal, bei einem Paradox handele es sich um „eine Wahrheit, die auf dem Kopf steht, um Aufmerksamkeit zu erregen.“ Im klassischen Slasher-Movie wendet sich die ausgegrenzte Person gegen die Gesellschaft. Auf dem Boden der Tatsachen steht: Unsere Gesellschaft hat sich schon immer gegen Personen gewandt, die durch ihre psychische oder physische Verletzlichkeit als andere markiert wurden. Diese Rituale werden bis heute wachgehalten. Es sind Ausgrenzungsfantasien, die uns im Horror-Kino und an Halloween wie böse Geister verfolgen. Und häufig sind es gerade die Masken, die das emotionslose Gesicht unserer Gesellschaft verraten. Das wahre Grauen ist eine Geschichte, an die wir uns gewöhnt haben.

Vulnerabilität wird im Horror-Kino erzählt, als mache sie unverwundbar, als sei Schmerz ein Panzer. Dabei erzählen Menschen wie Marc Convey für Changing Faces eine andere Geschichte. Sie sprechen von Verletzlichkeit, von Sensibilität, von Alltagsdiskriminierung. Diese Geschichten sind komplex, vielfältig, inklusiv. Sie erzählen von Gesichtern, nicht von Masken. Wäre das nicht Stoff für neue, interessante Heldenfiguren?

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Heute ist Halloween.
Ich werde die Tür nicht öffnen.

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Unspeakable Conversations